HomeMänner ISchießen oder fliehen: Korbachs Neuzugang Altaweel über seine Flucht aus Syrien

Schießen oder fliehen: Korbachs Neuzugang Altaweel über seine Flucht aus Syrien

Schießen oder fliehen: Korbachs Neuzugang Altaweel über seine Flucht aus Syrien

Von Jürgen Heide

Korbach. Es ist mucksmäuschenstill in der Umkleidekabinein der Kreissporthalle. Jeder der langsam nacheinander eintreffenden Handballspieler des Landesligisten TSV Korbach hört sofort gebannt zu, während der neue Mitspieler Abdulqader Altaweel per Übersetzer vor der Trainingseinheit am vergangenen Dienstag die Geschichte seiner Flucht aus Syrien erzählt. „Ich sollte zur syrischen Armee eingezogen werden. Aber ich wollte nicht auf Leute schießen“, begründet der 24-Jährige, wieso er im vergangenen Sommer seine Familie in Al-Hasaka, der Hauptstadt der Dschazira-Region im Nordosten Syriens, in Richtung Türkei verließ.

Älterer Bruder verhaftet

Um die Macht in der zerstörten Stadt mit ihren 175 000 Einwohnern kämpfen Truppen von Diktator und Präsident Baschar al-Assad, die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) und syrische Rebelleneinheiten. Seine sechs Geschwister und seine Eltern leben noch in der 650 Kilometer von Damaskus entfernten Stadt oder in deren Umgebung.

Besonders große Sorgen macht sich Abdulqader, der das jüngste Familienmitglied ist, um einen seiner älteren Brüder, der im Gefängnis sitzt. „Regierungseinheiten haben ihn ohne Grund verhaftet. Das ist in Syrien gang und gäbe“, sagt er. Wenn die Leitungen funktionieren, die der IS kappen will, hat Abdulqader Kontakt zu seiner Familie.

Diese hat 2500 US-Dollar an einen Schlepper für seine Flucht bezahlt. Obwohl die türkische Grenze nur etwas mehr als 300 Kilometer von Al-Hasaka entfernt ist, musste Altaweel große Umwege in Kauf nehmen, „bevor wir durch Wälder und Berge in die Türkei gelangt sind“. Dort war der junge Mann, der ein Studium der Elektrotechnik abgeschlossen hat, zwei Monate lang in einem Flüchtlingslager, bevor einer seiner Kumpel sagte: „Komm, lass uns nach Deutschland gehen.“

So kam Altaweel Ende Oktober nach einer wochenlangen Odyssee zunächst per Boot und mit Hilfe eines Schleppers mit 41 Personen nach Griechenland, um dann über Mazedonien, Kroatien, Bosnien, Slowenien und Österreich nach München zu gelangen. Von dort landete er über Aufnahmelager in Hannover, Bielefeld und Gießen schließlich in der Flüchtlingsunterkunft in der Korbacher Kreisberufsschulhalle.

Über den Korbacher Handballer Maik Huneck, der dort Hausmeister ist, kam der Kontakt zum TSV zustande. In Syrien spielte der Linksaußen, der eigentlich vor hatte, englische Literatur zu studieren, bei Al-Jazeera in der 1. Liga. So trainiert Altaweel, der noch in einer Flüchtlingsunterkunft in Freienhagen mit acht anderen Syrern in einem Zimmer wohnt, seit Jahresbeginn beim TSV mit.

Debüt gegen TSV Vellmar?

„Er hat ein hohes Spielverständnis und ist ein Flieger von außen“, sagt Kapitän Robert Müller über seinen neuen Mitspieler, den die Korbacher Handballer mit den Trainingsutensilien ausgestattet haben. Nachdem der Linksaußen zuletzt beim 34:34 in Hünfeld erstmals im Landesligakader stand, könnte er im heutigen Hit (16.30 Uhr, Kreissporthalle) gegen Tabellenführer Vellmar sein Debüt für den Zweiten geben.

Dass Altaweel weder Deutsch noch Englisch spricht, stört seine schnelle Integration auf dem Handballfeld natürlich. Der Antrag auf einen Deutsch-Kurs ist aber schon gestellt und zudem soll der Syrer mit einem Freund in der nächsten Woche nach Korbach ziehen, nachdem die Handballer mit Hilfe der Stadt eine kleine Wohnung für ihn gefunden haben. „Wir haben ihm auch ein Fahrrad besorgt, damit er selbst zum Training fahren kann“, sagt Müller.

„Ich bin sehr glücklich, dass ich hier bin. Die Handballer sind wie eine Familie für mich. Ich hoffe, dass ich Korbach schnell helfen kann“, will sich der Flüchtling für die Gastfreundschaft auch mit guten Leistungen auf dem Feld bedanken.

TSV Korbach, 02/16 Neuzugang aus Syrien bei den Korbacher Handballern. Foto: Artur Worobiow

TSV Korbach Neuzugang aus Syrien bei den Korbacher Handballern.
Foto: Artur Worobiow


Quelle WLZ-FZ